Katja Diehl: „Menschen sitzen im Auto – gegen ihren Willen.“
Ob in Anne Wills Talk-Runde, als Podcasterin oder Autorin: Katja Diehl setzt sich entschlossen für die Mission „Verkehrswende“ ein – und kämpft dabei gar nicht primär für den Klimaschutz, sondern für Freiheit und soziale Gerechtigkeit.
Im Interview mit dem bwegt-Magazin spricht Katja Diehl über
Katja, in einem Wort: Wer oder was ist der größte Bremser für die Verkehrswende?
Katja Diehl: Fantasielosigkeit. Wir brauchen viel mehr Träumer:innen, die nicht am Status quo hängen, sondern sich eine Zukunft ohne privaten Pkw vorstellen können. Denn der private Pkw macht nicht nur 61 Prozent der CO2-Emissionen im Verkehrssektor aus, sondern raubt Raum und sorgt für versiegelte Flächen.
Es ist verrückt: Wir machen z.B. Urlaub in Paris oder Barcelona, wo autofreie Inseln schon Realität sind. Wo Bürgermeister:innen dafür sorgen, die Stadt den Menschen zurückzugegeben. Und dann kommen wir zurück nach Hause, wo wir abhängig sind vom Auto – und buchen vor Stress bald den nächsten Urlaub.
Auch auf Twitter sprachst du vor Kurzem davon, was uns im Weg steht: nämlich unser Bild davon, was Erfolg bedeutet.
Katja Diehl: Ich nenne es das „fossile Hamsterrad“. Das, was wir heutzutage als Erfolg betrachten – große Wohnung, großes Auto, großer Urlaub – ist ein Hyperkonsum, der einen sehr großen individuellen CO2-Abdruck verursacht.
Es stimmt natürlich, wir können nicht nur aufs Individuum schauen – die großen Veränderungen müssen aus der Politik kommen. Aber wenn man wiederum bedenkt, dass ein Prozent der Superreichen 25 Prozent des CO2-Ausstoßes verursacht, sieht die Sache schon wieder anders aus.
Den Zusammenhang zwischen Reichtum bzw. Armut und Mobilität spielt auch in deinem Buch eine große Rolle.
Katja Diehl: Es ist ja nachgewiesen: Nur 43 Prozent der Menschen, die in Armut leben, haben ein Auto. Menschen mit hohem Einkommen dagegen neigen zu Dritt- und Viertwagen. Das Einkommen ist also an einen höheren CO2-Abdruck gekoppelt.
Tatsache ist: Oftmals wird Lebensqualität damit gleichgesetzt, Autofahren zu können. Das sehe ich ganz anders: Ich würden den Menschen in Armut lieber sichere Radwege und gute Bus- und Bahnverbindungen geben, um ihnen eine gute Mobilität zu gewährleisten. Und das 9-Euro-Ticket hat ja gezeigt: Wenn man günstig im ÖPNV unterwegs sein kann, probieren die Menschen das auch gerne aus.
Meist steht beim Thema Verkehrswende der Klimaschutz im Zentrum. Du aber sagst, es geht vielmehr um soziale Gerechtigkeit?
Katja Diehl: Schon lange sehe ich diese große Ungerechtigkeit im System. Als Mensch ohne Auto – da gehöre ich dazu – atme ich seit meiner Geburt Abgase ein, höre den Lärm, gebe meinen öffentlichen Raum, der ja z.T. mir gehören soll, an geparktes und damit unnützes Blech ab.
Das liegt – finde ich – an zwei Problemen:
Erstens: Die Welt des Autos stellt sich immer so dar, als ob alle sie nutzen können. Aber ganz viele sind ausgeschlossen. Wie schon gesagt, nicht jede:r kann sich ein Auto leisten. Dazu kommen 26 Mio. Menschen, die entweder keinen Führerschein haben oder Kinder sind – also nicht selbst fahren können. Und ist das toll, immer von anderen abhängig zu sein?
Zweitens: Menschen sitzen im Auto, aber gegen ihren Willen. Das fängt damit an, dass nach den Weltkriegen viele Buslinien und Schienenkilometer im ländlichen Raum abgebaut worden sind. Denn die Verkehrspolitik wurde lange Zeit von Menschen mit Auto gestaltet. Früher sind die Menschen noch zu 70 Prozent zu Fuß gelaufen, weil Arbeit, Wohnen und Erholen nah beieinander lagen. Dann kam die autogerechte Stadt: In einem Stadtteil arbeiten, im anderen wohnen – das drängt die Menschen natürlich ins Auto.
Du sagst, du wünschst dir mehr Fantasie. Was wünschst du dir für Baden-Württemberg?
Katja Diehl: Also ich finde „Mobilität 2030“ von Winfried Hermann total klasse; diese Strategie, Stunden- und Halbstundentakte im ländlichen Raum mit ÖPNV umzusetzen und als Ergänzung On-Demand-Rufsysteme zu schaffen.
Denn ich glaube, irgendwann kommt auch der Wettbewerb der Regionen – und die heutigen Verantwortlichen unterschätzen, dass Menschen nicht da wohnen möchten, wo möglichst viel Auto ist, sondern dort, wo viel Lebensqualität ist.
Die Arbeitswelt wird sich verändern: Schon heute sind ca. 60 Prozent der Arbeitsplätze mobil abbildbar. Coworking ist auch kein rein urbanes Phänomen mehr. Und da ist jede:r gut beraten, wie Winfried Hermann die Strategie zu fahren, das eigene Bundesland attraktiv zu halten.
Wenn man mit anderen Menschen über die Verkehrswende diskutiert, fliegen schnell die Fetzen – es ist ein enorm emotional aufgeladenes Thema. Wieso ist das so?
Katja Diehl: Ich denke, viele Menschen verwechseln etwas Wichtiges: Nämlich „Das Auto ist die Lösung“ mit „Mit dem Auto umfahre ich gesellschaftliche Probleme“.
Was heißt das? Ich habe festgestellt: Viele Leute sitzen nicht im Auto, weil es ihnen Spaß macht – sondern weil sie keine Alternativen haben. Weil sie sich im öffentlichen Raum nicht sicher fühlen, weil ICEs Stufen haben und damit nicht barrierefrei sind, weil Autofahren z.T. billiger ist als die Bahn usw. Das erhitzt natürlich die Gemüter.
Und außerdem: Bei der Mobilitätswende sprechen wir über eine gesellschaftliche Transformation. Wenn man den Leuten das Auto „wegnimmt“, haben wir kein Substitut! Das Auto ist immer noch das größte mitnehmbare Statussymbol. Es ist viel mehr als nur Mobilität – das möchten die meisten nur nicht zugeben.
Wir bräuchten also andere Statussymbole in unserer neuen Welt? Was kommt da infrage?
Katja Diehl: Zeit! Zeit ist für mich das ultimative Statussymbol. Wenn ich nicht mehr pendeln muss, sondern Zeit mit meiner Familie verbringen kann, gemütlich meine Kinder mit dem Fahrrad zur Schule bringen kann. Und wenn ich Zeit flexibel einsetzen kann – je nachdem, was die Lebensphase braucht, in der ich mich gerade befinde.
Du bist eine Kämpferin für die Verkehrswende. Was hat dich zu dieser Mission getrieben?
Katja Diehl: Ich habe von meinen Eltern gelernt, mich für vermeintlich Schwächere einzusetzen. Meine Mama hat im ländlichen Raum eine Aidshilfe aufgebaut – eine superschwierige Geschichte damals. Ich möchte meine Privilegien nutzen, damit es anderen besser geht.
Manchmal sollte man einen Schritt zurücktreten und demütig sein: Ich habe einen deutschen Pass, Zugang zu Bildung – das wurde mir geschenkt, ich habe mir das nicht erarbeitet. Davon etwas zurückzugeben, ist ein ganz tolles Privileg, finde ich.
Was rätst du jungen Menschen in BaWü, die sich für die Verkehrswende einsetzen möchten – was können sie tun?
Katja Diehl: Ich glaube wirklich, Druck auf die Kommunalpolitik vor Ort zu machen. Briefe oder Leserbriefe schreiben und sagen: „Ich bin damit nicht einverstanden, ich möchte Radwege, ich möchte, dass mein Kind sicher zur Schule kommt“. Und sich um andere kümmern: Schaut mal vor die eigene Haustür, fahren dort Rollstuhlfahrer:innen, fahren da Kinder? Oder ist es eher eine feindliche Umgebung? Und daran etwas zu ändern.
Und ganz wichtig: Lernt, in Kauf zu nehmen, wenn ihr mal nicht gemocht werdet. Wenn man sich für etwas einsetzt, ist das kein Wettbewerb um Liebe und Zuneigung, sondern es gibt ganz viel Gegenwind. Aber man kann sich super mit Gleichgesinnten verbinden, auch virtuell, so dass es sich auf jeden Fall lohnt.
Magazin-Artikel veröffentlicht am 24.02.2023