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Kein Stress, Herr Schmitt fährt mit

Akkurater Haarschnitt, sportliche Jacke, flotte Sneakers. Wenn Herr Schmitt in den Zug steigt, könnte man ihn für alles Mögliche halten. Tourist? Aber wo sind Rucksack und Kamera? Oder Student? Dafür ist er dann doch etwas zu alt. Ein Pendler? Fast richtig.

Mann mit dem Rücken zur Kamera steht an der Zugtür und blickt nach draußen.

Von Pascal Cames

Herr Schmitt ist eigentlich Franzose. Der leichte Akzent lässt es vermuten. Sein Beruf? Kundenbetreuer (früher sagte man Schaffner), gerade unterwegs von Hausach nach Freudenstadt. Schwarze Hose, dunkelblaue, sportliche Jacke – seine Dienstkleidung ist keine Uniform, sondern nur alltagstauglich und sogar etwas modisch. Und wer genau hinschaut, erkennt den SWEG-Schriftzug auf seiner linken Brust.

„Guten Tag, Ihre Fahrkarte bitte!“

SWEG steht für die Südwestdeutsche Landesverkehrs-Gesellschaft . Das Unternehmen unterhält mit ihrem Zug im gelb-weißen Design der Landesmarke bwegt fünf Bahnstrecken in der Ortenau und befördert tagtäglich tausende Fahrgäste, ein Viertel davon Pendler:innen. Und wo bwegt draufsteht, wird tatsächlich viel bewegt: Die Mobilitätsmarke des Landesministeriums für Verkehr steht für den gesamten Regional- und Nahverkehr in Baden-Württemberg. Der bwegt-Zug Richtung Schwarzwald hat an diesem nebligen Morgen aber nur wenige Fahrgäste. „Guten Tag, Ihre Fahrkarte bitte!“ Sofort bekommt Herr Schmitt sie gezeigt und dann heben sich seine Augenbrauen, als er freundlich „super“ sagt – super und „Danke“. Herr Schmitt ist immer höflich.

Für die Kleinfamilie, die am Bahnhalt Kreisschulzentrum (Offenburg) steht, lässt jemand wie Herr Schmitt im ersten Moment den Puls höher schlagen. Warum? Der Fahrkartenautomat funktioniert nicht . Das Geld hat er zwar genommen, die erste Fahrkarte sogar ausgedruckt, aber dann ist der Automat einfach runtergefahren. Nichts geht mehr. Was tun? Gleich kommt der Zug und dann? Zeigt der Kontrolleur Verständnis? Gibt es eine Strafe? Auf dem Automat steht, was in solchen Fällen zu tun ist. Foto vom defekten Automaten machen, eine bestimmte Telefonnummer anrufen und den Fall schildern. Später sich beim Zugbegleiter melden und zum Schluss am Zielbahnhof ein Ticket kaufen, was in diesem Fall aber entfällt, sie haben ja schon bezahlt. Da sie das Foto gemacht haben und angerufen haben, gibt es hier auch kein Problem. Herr Schmitt kennt das schon.

Fahrkartenkontrolle bei einer jungen Frau, die ihre Fahrkarte auf dem Smartphone vorzeigt.
Viel mehr als nur Tickets kontrollieren: Kundenbetreuer:innen sind für die Fahrgäste da – von Fragen zu Fahrplänen und Tarifen bis hin zu Hilfeleistungen beim Ein- und Ausstieg.

„Alle Menschen sind gleich“

Was aber macht er, wenn jemand das nicht gemacht hat? Dann muss Herr Schmitt 60 Euro in Rechnung stellen. Das müsste er sogar dann machen, wenn das einem Fahrgast passiert, der alle Tage von A nach B fährt. „Alle Menschen sind gleich“, sagt er und meint das so wie es ist. Alle Menschen sind gleich.

„Ihre Fahrkarte bitte. Danke.“

„Ihre Fahrkarte bitte. Danke.“

„Ihre Fahrkarte bitte. Danke.“

Herr Schmitt arbeitet sich den Wagen durch. Bei Hausach zweigt die Linie 721 von der legendären Schwarzwaldbahn ab. Kurz darauf kommt Herr Schmitts Arbeitsfluss ins Stocken.

Eine Frau um die 30 Jahre mit Deutschland-Ticket kann sich nicht ausweisen. Sie spricht auch kein Deutsch. Also kein Wort. Nicht einmal ein „Ja“ oder „Nein“. Oder will sie ihn nicht verstehen? Name? Vorname? Ausweis? Pass? Die Frau hat immerhin eine Übersetzer-App auf dem Handy. Das Problem ist ein schlechtgemachter Screenshot vom Reisepass. Das reicht leider nicht. Wie kann sie beweisen, dass sie überhaupt die Besitzerin des Deutschland-Tickets ist? Es geht noch eine Weile hin und her, dann durch einen Tunnel, Funkloch – das macht die Sache nicht einfacher. Herr Schmitt fotografiert Fahrschein und Screenshot. Er könnte jetzt auch in Halbmeil aussteigen und dort die Polizei rufen, um die Sache zu klären. Das macht er aber nicht. Diesmal drückt er ein Auge zu.

Arbeiten, wo es schön ist

Jetzt geht es stetig bergauf, die Landschaft wird waldreicher, dazwischen immer wieder große Wiesen und Gehöfte. Es wird neblig und regnet. Dann kommt Schiltach. Der pittoreske Ort erinnert an ein Dorf aus Krabat. Herr Schmitt erzählt, dass er früher in der Gastronomie arbeitete und dann Lust auf Neues bekam. Das war vor sechs Jahren. Die Stellenanzeige der SWEG fand er interessant. Wäre er heute auf der Suche, dann würde er vielleicht im bwegt-Stellenmarkt nach einer freien Stelle schauen. Mit dem Bahnfahren verband er schon immer schöne Erinnerungen – als Kind fuhren die Schmitts mit dem Zug nach Italien. Und jetzt täglich Frankfurt, Mannheim, Stuttgart? So hatte er sich das zwar vorgestellt, war dann aber doch erleichtert, als er erfuhr, dass er im Regionalverkehr nur nach Straßburg, Ottenhöfen oder eben Freudenstadt fahren muss – er liebt den Schwarzwald – und nach der Schicht wieder daheim ist.

So wie heute. Es ist früher Nachmittag, sein Arbeitstag ist zu Ende. Er könnte jetzt noch ins Kino gehen, was er gerne macht. Drei Schichten arbeitet er. Heute fing er in der Früh kurz vor fünf Uhr an. Er fuhr von Offenburg nach Schiltach, von Schiltach nach Offenburg, von Offenburg nach Hausach, von dort nach Hornberg, dann wieder nach Hausach, wieder Hornberg, wieder Hausach, noch mal Hornberg, dann endlich nach Freudenstadt und von dort nach Offenburg und wieder hin und zurück. Kurz vor halb eins ist dann „Feierabend“.

Morgens und abends sitzen die Pendler:innen im Zug, dazwischen aber häufig auch Touristen. So wie die zwei älteren Fahrgäste mit ihren Taschen und Rucksäcken. Kaum ist Herr Schmitt auf dem Weg zu ihnen, zeigen sie ihm schon ihre Tickets wie zwei Trophäen. Andere legen ihre Zeitung oder ihr Buch erstmal gemütlich zur Seite, kramen ihr Ticket aus dem Geldbeutel oder wischen auf dem Smartphone rum. „Sie glauben ja nicht, wie viele ältere Leute ihr Ticket mittlerweile auf dem Handy haben.“ Der Kundenbetreuer staunt selbst ein bisschen, wie up-to-date die Generation 50-Plus im Vergleich zu vielen Jüngeren ist.

Zugbegleiter steigt in den Zug ein.
Braucht ein Fahrgast Hilfe? Steht eine Tasche im Weg? Ist ein Fahrkartenautomat defekt? Kundenbetreuer:innen haben alles im Blick.

Man sieht sich immer zweimal

Herr Schmitt ist aber nicht nur Kontrolleur. Er passt auch sonst wie auf. Selbst wenn er nur so aus dem Fenster schaut, weiß er was los ist, wo eine Tasche im Weg steht, wer die Schuhe auf den Sitz legt, wann eine Person im Rollstuhl Hilfe braucht. Er sitzt immer so, dass er ins Abteil blicken kann. „Das ist ein Pendler“, sagt er und deutet auf einen Mann, der gerade mit seiner Aktentasche aussteigt. Bei einem anderen Herrn bleibt er stehen, weil dieser ihn angrinst. „Ah – ich habe Sie wieder erkannt!“ Der Mann saß schon morgens im Zug. Wie heißt es so schön: Man sieht sich immer zweimal.

Hat einer wie er Ermessungsspielraum? Der ist klein, erklärt er. Der liegt bei der Zentrale, die strittige Fälle entscheiden müsste. Zum Beispiel, wenn jemand ohne Fahrkarte einsteigt, weil der Automat kaputt ist oder die Karte verloren ging. Die meisten Fahrgäste hätten Verständnis. „Ja stimmt“, würden sie sagen. „In diesem Fall bin ich nur der Kontrolleur. Wenn in einem Laden die Kasse kaputt ist, können Sie auch nicht einfach rausgehen ohne zu bezahlen.“ Bei einem Schüler muss er nachhaken, weil der seinen Schülerausweis nicht dabeihat. Vergessen. Gibt das eine Buße? Nein, Herr Schmitt markiert den Fahrschein des Schülers mit einem „B“, damit die Kolleg:innen wissen, dass sie ihn beim nächsten Mal nach dem Berechtigungsschein fragen müssen. Bei einem nervösen jungen Mann bleibt Herr Schmitt auch länger stehen. Er zittert. Was fehlt? Die Wertmarke für seinen Behindertenausweis ist abgelaufen. „Schon seit 2021“, stellt er fest.

Kein Stress, Herr Schmitt passt auf

Als er sich für den Beruf als Kundenbetreuer entschied, musste er drei Monate wieder zur Schule gehen, erzählt er. Fahrpläne, Tarifzonen, Fahrgastrechte und vieles mehr standen auf dem Lehrplan. Natürlich musste er auch erfahrene Kolleg:innen begleiten. Und wie war so die erste Fahrt alleine? „Ich bin schüchtern“, sagt er. Beim ersten Mal allein im Zug war er gestresst. „Wenn ich ins kalte Wasser geschmissen werde, lerne ich aber am besten“, sagt er und lacht. Freundlich.

Jetzt stoppt er mit dem Erzählen, weil ihm etwas aufgefallen ist. Beim Automaten brennt ein rotes Licht, hat er gerade noch gesehen. Für solche Fälle gibt es eine Automatennummer, und die ruft er jetzt an. Man hört es heraus, dass man am anderen Ende der Leitung der Schwarzwald noch ein weißer Fleck auf der Landkarte ist. „Weh – Oh – Ell – Eff – Ahh – Zeh – Hah“, buchstabiert er „Wolfach“, damit es den nächsten Fahrgästen nicht so geht, wie der Kleinfamilie in Offenburg. Kein Stress, Herr Schmitt passt auf.

Magazin-Artikel veröffentlicht am 25.04.2024

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