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Rückenwind für Fahrgäste: Qualitätsanwalt will das Bahnfahren verbessern

Er kennt den Öffentlichen Nahverkehr wie seine Westentasche: Matthias Lieb ist der neue Qualitätsanwalt für Fahrgäste in Baden-Württemberg. Wer er ist, warum der ÖPNV ihm so sehr am Herzen liegt und wie er das Bahnfahren verbessern will, erzählt er im Interview mit bwegt.

Mann sitzt am Bahnsteig auf einer Bank. Im Hintergrund steigen Fahrgäste aus einer Bahn.

Matthias Lieb weiß, was Bahnfahren besser macht

Er hat die Interessen der Fahrgäste immer im Blick und weiß, wo der Schuh gerade drückt: Matthias Lieb ist seit Oktober 2023 der neue Qualitätsanwalt für Fahrgäste. Die Stelle wurde im Auftrag des Ministeriums für Verkehr bei der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW) geschaffen. Besetzt wurde sie mit einem absoluten Experten, was ÖPNV und Fahrgastrechte betrifft: 30 Jahre ehrenamtliches Engagement beim ökologischen Verkehrsclub Deutschland (VCD) und elf Jahre im Fahrgastbeirat Baden-Württemberg bringt er mit. Doch begeistert von Bus und Bahn ist Matthias Lieb schon so gut wie sein ganzes Leben.

Mann steht mit Infotafel seines Lebenslaufs in der Bahn.

Sie sind ein richtig alter Hase im öffentlichen Nahverkehr von Baden-Württemberg. Wie kam es dazu?

Für Züge und den Schienenverkehr haben ich mich schon von klein auf interessiert: Mit sechs Jahren hatte ich meine erste Modelleisenbahn, die ich mit großer Begeisterung über viele Jahre immer weiter ausbaute – als Teenager habe ich mich sogar an einer ersten Computer-Steuerung und kleineren Automatisierungen versucht. Nach der Schulzeit hatte ich dann auch eher andere Hobbys, aber die Freude an der Schiene ist geblieben: Mit dem damaligen „Tramper-Monatsticket“ – eine Art Bahncard 100 für Jugendliche – kam ich in meiner Freizeit unglaublich viel herum. Und auch fürs Studium saß ich viel mit einem Schreibblock auf den Knien im Zug. Denn ich musste regelmäßig von meinem Heimatsort Mühlacker zur Uni nach Karlsruhe pendeln. So kam ich dann auch unweigerlich mit den Tücken der Fahrplangestaltung in Kontakt: Plötzlich hatten sich damals die Fahrtzeiten für mich ziemlich verschlechtert. Als leidenschaftlicher Mathematik-Student begann ich mir dann Verbesserungsmöglichkeiten in der Taktung zu überlegen und diese der Bahndirektion zu schicken. Zunächst ging man nicht wirklich darauf ein. Aber einige Monate später, beim nächsten Fahrplanwechsel, wurde zumindest der Tagesfahrplan optimiert. Da wusste ich: Wer sich einbringt, kann auch etwas bewegen. Daher reichte ich weiterhin fleißig Verbesserungsvorschläge zu den verschiedenen Fahrplänen für die Fahrplankonferenz ein.

Gestikulierender Mann im Anzug sitzt in der Bahn.
Er schaut sich die Beschwerden und Probleme der Fahrgäste genau an: Matthias Lieb ist seit Oktober 2023 Qualitätsanwalt im Auftrag des Ministeriums für Verkehr bei der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW).

Wie muss man sich Ihre neue Arbeit als Qualitätsanwalt vorstellen? Was sind Ihre Aufgaben?

Meine Rolle ist es, im Auftrag des Landes bei der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW) wirksame Lösungsvorschläge zu erarbeiten und so das Bahnfahren in Baden-Württemberg zu verbessern. Ich bin nun viel stärker und direkter an der konkreten Umsetzung von Verbesserungen im Schienenpersonen-Nahverkehr (SPNV) beteiligt als bisher – das reizt mich besonders stark. Momentan analysiere ich überwiegend die Problempunkte im Schienenverkehr. Dabei schaue ich mir Beschwerden der Fahrgäste genau an und prüfe zum Beispiel, ob es sich um wiederkehrende Probleme (und damit um Probleme im System) handelt. Dafür muss ich auch oft vor Ort sein und mir selbst ein Bild der Situation machen – ob nun überfüllte Züge, schlechte Anschlusszeiten oder andere Schwierigkeiten. So werde ich zukünftig viel mit nebenberuflichen Qualitätsscouts unterwegs sein und sie schulen, worauf es zu achten gilt. Ich stehe auch ständig mit den jeweiligen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und der DB Netz AG als Betreiber der Infrastruktur in Kontakt, höre mir die vorherrschenden Probleme und die erbrachten Lösungen an. Oft kann ich dann schon direkt beraten, gegebenenfalls auf strukturelle Probleme hinweisen und beim Planen unterstützen.

Sie arbeiten also richtig an der Basis. Was sind Ihre kurzfristigen und langfristigen Ziele?

Einige Dinge, die wir angehen wollen, müssen relativ schnell umgesetzt werden, wie zum Beispiel die Verbesserung der Anschlusssicherung: Hier müssen die Abläufe verbessert werden, damit klar ist, welche Bahn noch zwei oder drei Minuten auf einen verspäteten Zug warten kann. Und auch die Fahrgastinformation im Störungsfall möchte ich möglichst schnell optimieren.

Die Beteiligung der Fahrgäste ist dabei unverzichtbar: Bei der NVBW gingen für 2023 über 400 Verbesserungsvorschläge für den neuen Fahrplan ein. Das sind überaus wertvolle Impulse, die uns auch schon geholfen haben, an gewissen Stellen nachzusteuern. Und hier zeigt sich wieder ganz klar: Wer etwas ändern möchte, sollte unbedingt aktiv werden. Auf diese engagierte Beteiligung der Fahrgäste hoffe ich weiterhin und möchte meinen Teil dazu beitragen, dass sich die Menschen gehört fühlen und motiviert sind, sich einzubringen.

Es gibt aber auch viele Punkte, die langfristig angegangen werden müssen: Das größte Problem – wie in anderen Wirtschaftszweigen auch – ist das Personalproblem. Ich kann leider auch keine Lokführer:innen herbeizaubern und der demografische Wandel zeigt uns, dass wir hier erst am Anfang des Engpasses stehen. Es müssen dringend langfristig wirksame Lösungen aufgegleist werden: Die Berufsbilder müssen attraktiver werden, die Wertschätzung für die Personen, die uns täglich zur Arbeit oder in der Freizeit fahren, muss wachsen, auch in der ganzen Gesellschaft, und es müssen mehr Ausbildungsmöglichkeiten geschaffen werden. Gleichzeitig müssen wir an noch mehr Automatisierung arbeiten, um auf Dauer fehlendes Personal auffangen zu können.

Und nicht zu vergessen, die Infrastruktur: Ohne ein leistungsfähiges, störungsfreies Eisenbahnnetz kann auch der Zugbetrieb darauf nicht pünktlich sein. Hier ist der Bund gefordert, den Instandhaltungsrückstand des Eisenbahnnetzes rasch zu beseitigen.

Aber was wir schon jetzt umsetzen können, sind realistische Personaleinsatzpläne und realistische Fahrpläne. Das ist ja auch ein großes Ziel des Aktionsplans des Landes: Besser ein Zug in der Stunde weniger als zwei, die aufgrund von Personalmangel kurzfristig gestrichen werden müssen. Der Austausch mit den EVUs und das Fordern, aber auch Fördern einer sinnvollen Planung ist hier besonders wichtig.

Wir bedanken uns für das Gespräch!

Verkehrsminister Hermann steht im Ministerium vor einer grünen Tafel.
„Die Züge müssen pünktlich und zuverlässig fahren“: Winfried Hermann stellt September 2023 den „Aktionsplan Qualität im Schienenpersonennahverkehr“ vor.

Qualitätsoffensive auf der Schiene: Um was geht’s?

Im Herbst 2023 hat das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg den „Aktionsplan Qualität im Schienenpersonennahverkehr“ gestartet. Der Aktionsplan ist auf mehrere Jahre angelegt und beinhaltet ein Bündel verschiedener Maßnahmen, um die Qualität des Nahverkehrs auf der Schiene zu verbessern. Seit Oktober arbeitet hierbei Matthias Lieb, angedockt an die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW), als professioneller „Qualitätsanwalt“ für die Fahrgäste und soll für Verbesserungen sorgen.
 

„Das Ziel ist, dass die Mobilitätswende gelingt“, sagt Minister Winfried Hermann. „Deshalb benötigen wir ausreichend Personal und Züge. Die Züge müssen pünktlich und zuverlässig fahren. Und sie müssen sauber und attraktiv sein. Wir gehen deshalb jetzt in die Offensive. Dabei gilt: Qualität vor Quantität. Das Land hat unter anderen Maßnahmen einen Qualitätsanwalt engagiert, der aus Sicht der Fahrgäste auf die Beseitigung der Mängel einwirkt und Verbesserungsvorschläge macht.“

Weitere Maßnahmen zur Verbesserung:

  • Beim Erstellen der Fahrpläne soll die Zuverlässigkeit von Verbindungen und Anschlüssen grundsätzlich vor der maximalen Zeitersparnis liegen. Das heißt im Klartext: Eine Verbindung dauert gemäß Regelfahrplan dann möglicherweise etwas länger als vorher; dafür werden die Anschlüsse zuverlässiger erreicht.
  • Die Vertragsstrafen werden neu gewichtet: Auch die Verkehrsverträge des Landes Baden-Württemberg mit den jeweiligen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) werden überarbeitet. Ziel ist es u. a., Strafen für nicht erfüllte, aber vereinbarte Leistungen neu zu gewichten: Sind Versäumnisse wie Zugausfälle und Unpünktlichkeit vom Unternehmen selbst verschuldet, fallen die Vertragsstrafen höher aus, bei fremdverschuldeten Qualitätsproblemen hingegen geringer. Auf diese Weise soll ein gezielter Qualitätsanreiz für die EVU gesetzt werden.
  • Gleich mit mehreren Maßnahmen unterstützt das Land die Unternehmen bei der Gewinnung von Fachkräften, und zwar organisatorisch, kommunikativ oder auch finanziell. Hierfür wird ein Bündnis zur Personalgewinnung mit der Branche gebildet.

Magazin-Artikel veröffentlicht am 11.12.2023

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