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Mobilität im Jahr 2050: Zukunftsforscher Matthias Horx im Interview

Wie bewegen wir uns in Zukunft fort? Hat das Auto in 30 Jahren noch eine Daseinsberechtigung? Und wie geht es mit dem öffentlichen Nahverkehr weiter? Zukunftsforscher Matthias Horx zeichnet für bwegt ein Bild der Mobilität im Jahr 2050.

Grafik in den Farben gelb, schwarz und weiß, auf der verschiedene Fortbewegungsmittel als Symbole zu sehen sind.

Das Zukunftsinstitut wurde 1998 von Matthias Horx gegründet. Oberstes Ziel des Unternehmens ist es, „den Wandel begreifbar zu machen und Zukunft als Chance zu verstehen“. Mit dieser Philosophie hat sich das Zukunftsinstitut international den Ruf als führender Ansprechpartner bei Fragen zur Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft erarbeitet.

Mittelalter Mann blickt in die Kamera.
Zukunftsforscher Matthias Horx blickt für bwegt auf die Mobilität im Jahr 2050.

Herr Horx, wie können sich unsere Magazinleser Ihre Arbeit vorstellen? Wie gehen Sie vor?

Horx: Wir sind ein ThinkTank, der sich ganzheitlich und interdisziplinär mit den großen Trendentwicklungen in Gesellschaft, Technologie, Ökonomie und Kultur beschäftigt. Unsere Referenz-Disziplinen sind zum Beispiel Systemtheorie,  Evolutionstheorie und dynamische Komplexitätswissenschaft. Wir haben 35 Mitarbeiter und arbeiten ständig am Erkennen der  Veränderungen der Gegenwart und ihren Auswirkungen in verschiedenen Zukunfts-Szenarien. Wir entwickeln narrative Stories, die eine mögliche, wünschenswerte und erreichbare Zukunft illustrieren.

Dabei arbeiten Sie mit sogenannten Megatrends. Was hat es damit auf sich?

Horx: Megatrends sind Lawinen in Zeitlupe. Sie entwickeln sich langsam und sind enorm mächtig. Sie wirken auf alle Ebenen der Gesellschaft und beeinflussen so Unternehmen, Institutionen und Individuen. Aktuell haben wir zwölf Megatrends ausgemacht – etwa die Globalisierung, die Individualisierung oder die Mobilität.

Letzterer interessiert uns als Dachmarke für den ÖPNV in Baden-Württemberg besonders. Was zeichnet den Megatrend Mobilität aus?

Horx: Menschen sind seit 200 Jahren, seit Beginn der Industrialisierung, die die alte agrarische Sesshaftigkeit ablöste, stetig mehr „on the move“. Die Globalisierung hat diesen Trend noch verstärkt. Die moderne Zivilisation ist mehr und mehr (wieder) eine nomadische Kultur.

Mobilität bezieht sich aber auch auf die Flexibilität der Lebensformen, die steigende Varianz in den Biographien. Während wir im Schnitt immer älter werden, durchleben wir immer mehr verschiedene Lebensphasen, ziehen mehr um, entwickeln „Patchwork-Biographien“, die eine höhere geistige und soziale „Meta-Mobilität“ erfordern.

Mobilität ist stark mit der Arbeitswelt verbunden, auch weil viele Bewegungen von A nach B mit dem täglichen beruflichen Pendeln in Zusammenhang stehen. Allerdings entwickelt sich derzeit – beschleunigt durch die Corona-Krise – eine neue Evolution der Arbeitswelt hin zu flexibleren und virtuelleren Arbeitsformen. Dadurch könnte die Rhythmik der nine-to-five-Arbeitswelt langfristig verändert werden – das Ende der Rush Hour steht bevor und andere, „fraktalere“ Bewegungsmuster entstehen.

Das Ende der Rush Hour ist auch für uns eine wohlklingende Zukunftsvision. Wagen wir einen weiten Blick in die Zukunft: Was denken Sie, wie bewegen wir uns im Jahr 2050 fort? Welche Rolle wird der ÖPNV spielen?

Horx: Im Jahr 2050 wird wie heute ein Mobilitäts-Mix existieren, wobei sich die Transportmittel differenzieren und verschieben. Einerseits hin zu den CO2-freieren Vehikeln, andererseits zu neuen digitalen Angeboten.  Wenn es zum Beispiel digitale Fahrsysteme ohne Fahrer gibt, macht die Aufteilung in „öffentlich“ und „individuell“ wenig Sinn, ein öffentlicher Nahverkehr wäre dann ein vernetztes „On-demand“-System.

Auch die 15-Minuten-Stadt ist einer der großen Trends in der urbanen Entwicklung. Alle wichtigen Punkte der Erreichung – Arbeit, Park, Krankenhaus, Markt, Behörde etc. – liegen hier im Radius kurzer Wege. Paris versucht diesen Wandel mit der Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Die industriell geprägte Stadt mit ihren langen Wegen von Arbeit- zu Freizeit- zu Wohnarealen wird in der 15-Minuten-Stadt durch mehr und mehr „integrierte Quartiere“ abgelöst, in denen man das Auto wenig benötigt.

Noch ist Paris weit entfernt davon, die „Stadt der Viertelstunde“ zu werden. Wo können wir schon heute einen Ausblick auf die Mobilität der Zukunft erhaschen?

Horx: In der Schweiz zum Beispiel ist die Zugfahrrate sehr hoch, weil es ein stark ausgebautes und  sehr komfortables Angebot gibt. In verschiedenen Großstädten vor allem des Nordens hat sich der Trend zur „Kopenhagenisierung“ durchgesetzt – hier spielt das Auto eine untergeordnete Rolle, das für entspannte Urbanität präferierte Verkehrsmittel sind Fahrrad und Füße, gefolgt vom öffentlichen Nahverkehr, erst dann kommt das Auto.

Im ländlichen Raum gibt es interessante Experimente mit Mobilitätsnetzwerken, in denen sich Menschen zu geteilten Nutzungen zusammenfinden, das Spektrum reicht von Mitfahr-Vereinen bis zu digital unterstützten Local Mobility Services – im Endeffekt kommunal subventionierten Taxibetrieben.

In Japan und China werden die großen Metropolen mehr und mehr mit High-Tech-Schnellzügen durchgetaktet – ein ganzes Land als U-Bahn-Plan.

Ein Gegenbeispiel ist Amerika, wo keine öffentliche Verkehrsstruktur entstanden ist, und alles vom individuellen Auto abhängig ist. Die damit verbundenen Umwelt- und Sozialprobleme sind riesig.

Magazin-Artikel veröffentlicht am 27.08.2021

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